HPV-Impfung schützt effektiv vor HPV-16/18-Infektion im Mund-Rachen-Raum
In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass HPV-Viren Krebs im Mund-Rachen-Raum verursachen können. Sie sind die führende Ursache für Krebs an Mandeln und Zungengrund, wobei diese Krebsformen in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Europa und Nordamerika deutlich zunahmen. Bei anderen Krebslokalisationen im Mund ist HPV dagegen eher selten beteiligt, hier dominieren Rauchen und häufiger Alkoholkonsum, vor allem in Kombination, als Hauptursachen. 90 % oder mehr aller HPV-bedingten Krebse in Mund und Rachen werden (jedenfalls in Europa und Nordamerika) durch den HPV-Typ 16 verursacht, der auch von den beiden zur Zeit verfügbaren HPV-Impfstoffen erfasst wird. Dieser Typ ist zwar auch die dominierende Ursache für Gebärmutterhalskrebs, dort spielen aber auch andere Typen noch eine relativ größere Rolle. Im Mund-Rachen ist die Assoziation zwischen Krebs und HPV-16 besonders eng.
Der typische Infektionsweg, wie man sich eine HPV-(16-)Infektion in den Mund-Rachen-Raum einfängt, ist ungeschützter Oralverkehr sowohl als Mann wie als Frau. Die Rolle anderer Infektionswege ist untergeordnet, die Datenlage zu Zungenküssen nicht eindeutig, in jedem Fall ist der ungeschützte Oralverkehr mit Abstand die wichtigste Ursache. Damit ist HPV-16 auch ein Thema für die Sexarbeit, sowohl für die Dienstleisterinnen (ungeschütztes Blasen, Lesbenspiele) wie für die Kunden (Lecken bei Dienstleisterinnen).
Die meisten HPV-Infektionen sind glücklicherweise transient (vorübergehend) und verschwinden nach Monaten oder spätestens 1 bis 2 Jahren von selbst; wenn das Virus aber nicht eliminiert wird und persistiert, kann sich in seltenen Fällen über Jahre in der befallenen Region Krebs entwickeln. Anders als Hepatitis oder HIV macht HPV keine generalisierte Infektion, die den ganzen Körper umfasst, sondern bleibt lokal beschränkt. In dieser Region (z.B. Gebärmutterhals, aber auch Vagina, Vulva, Anus), aber eben auch im Mund-Rachen-Raum (besonders Mandeln, Zungengrund) kann dann über Vorstadien (die im Mund-Rachen-Raum leider nicht diagnostizierbar sind) Krebs entstehen. Deshalb die gynäkologischen Krebsvorsorgeuntersuchungen.
Was HPV-bedingten Mund-Rachen-Krebs betrifft, gehen die am Paysex Beteiligten gegenüber der Durchschnittsbevölkerung ein deutlich höheres Risiko ein, wenn sie ungeschützt Oralsex betreiben: Dienstleisterinnen, wenn sie bei vielen Männern und häufig ungeschützt blasen; Freier, wenn sie bei Dienstleiterinnen lecken, die statistisch gesehen wesentlich häufiger HPV, auch HPV-16, auf ihren Genitalschleimhäuten tragen, als andere Frauen gleichen Alters (am höchsten ist das Risiko Anfang 20, dann geht es wieder zurück).
Da bei uns fast ausschließlich HPV-16 beim Mund-Rachen-Krebs eine Rolle spielt (sofern diese Krebse überhaupt virusbedingt sind, was, wie dargelegt, nur bei einem Teil der Fall ist), war schon immer zu vermuten, dass die beiden HPV-Impfstoffe das Risiko vermindern dürften, sich (beim Oralsex) im Mund/Rachen mit HPV-16 (und HPV-18) anzustecken. Dies war aus immunologischen und biologischen Gründen so anzunehmen, und es gab auch schon einige indirekte Indizien, die darauf deuteten.
Auf der 28. Internationalen Papillomavirus-Konferenz in San Juan (Puerto Rico), die soeben (Anfang Dezember) beendet wurde, wurde eine beachtenswerte Studie aus Frankreich vorgestellt, die die bisherigen Annahmen bestätigt: Die HPV-Impfung bietet einen hoch effektiven Schutz vor oralen HPV-16/18-Infektionen.
Die Ergebnisse im Einzelnen: 7466 Frauen zwischen 18 und 25 Jahren waren zur Hälfte gegen HPV 16/18 und zur anderen Hälfte gegen Hepatitis A geimpft worden. Diese diente als Kontrollgruppe. Die Studie war doppelt verblindet, d.h. weder die Frauen wussten, welchen Impfstoff sie bekamen, noch die nachuntersuchenden Ärzte. Nach 4 Jahren konnten 5840 Studienteilnehmerinnen nachuntersucht werden, jetzt 22 bis 29 Jahre alt. In der gegen Hepatitis A geimpften Gruppe fanden sich 15 HPV-16-/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum, in der gegen HPV geimpften Gruppe nur eine einzige. Dies bedeutet eine Risikoreduktion um 93,3 %.
Damit schützte der Impfstoff sogar besser vor HPV-16-/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum als vor solchen am Gebärmutterhals, für den er ja ursprünglich gedacht war. Am Gebärmutterhals betrug die Risikoreduktion für eine HPV-16-/18-Infektion vier Jahre nach der Impfung nur 72 % (was zum Beispiel damit zu tun haben könnte, dass ein Teil der Frauen schon zum Impfzeitpunkt infiziert gewesen sein könnte, schließlich erfolgte die Impfung ja in einer Altersgruppe, die üblicherweise schon vor der Impfung sexuell aktiv war und die höchste HPV-16/18-Durchseuchung aufweist).
Die Aussage, dass die HPV-Impfung vor HPV-16-Infektionen im Mund-/Rachenraum schützt, beruht von nun an nicht mehr auf Hypothesen, Vermutungen, biologischen Plausibilitäten oder indirekten Indizien, sondern ist erstmals evidenzbasiert. Für Personen, die aufgrund ihres Sexualverhaltens ein hohes Risiko oraler HPV-16-Infektionen eingehen, stellt sich damit mehr denn je die Frage nach einer solchen Impfung. Zu diesen Personengruppen gehören ( neben anderen ) eben vor allem auch Sexarbeiterinnen, die häufig oder regelmäßig ungeschützten Oralsex betreiben, oder Freier, sofern sie gern (ungeschützt) bei Sexarbeiterinnen lecken.
Die Rolle der HPV-Impfung im Kontext von Sexarbeit hat mit der Bekanntgabe dieser Studie sicherlich an Bedeutung gewonnen; jedenfalls für diejenigen, die auch im Paysex ungeschützten Oralsex praktizieren, sich aber des damit verbundenen Risikos bewusst sind und dies so klein wie nur möglich halten wollen.
Eddy
Quelle:
Rolando HERRERO et al.,
Efficacy of an HPV 16/18 vaccine against oral HPV infections: a randomized clinical trial (Abstract).
28th International Papillomavirus Conference San Juan, Puerto Rico, Abstract Book Clinical Science, Seite 207.