Wo ein Wille, ist auch ein Weg. Wenn man möchte, gelingt es einem auch, den Nationalfeiertag schlecht zu reden. So viel ich weiß, hat noch kein Franzose die Idee geäußert, den 14. Juli abzuschaffen, weil im Namen der Grande Nation Verbrechen verübt wurden, die den Nazi-Gräueltaten in nichts nachstehen. Oder gehen die Belgier nur noch gebückt, sich dauernd entschuldigend durch die Gegend, weil ihr König Leopold die Bevölkerung Zentralafrikas nicht unwesentlich dezimierte? Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Aber gut: man muss sich ja nicht immer mit dem unteren Bereich der Skala vergleichen.
Die offizielle Lehrmeinung zum 26. Oktober ist ja nicht gerade hilfreich, sich eine klare Meinung zu bilden. „Irgendetwas“ hat der Feiertag sehr wohl mit unserem Land zu tun. Aber was? Keine Frage: Unser Land, unser Staat in der heutigen Form entstand am 15. Mai 1955. Wieso feiern wir nicht an diesem Tag? Eine mögliche Antwort: Im Mai gibt es ohnehin schon so viele Feiertage, noch ein arbeitsfreier Tag mehr, das geht nicht. Nicht sehr überzeugend, da ja der 26. Oktober nicht bereits 1955, sondern erst 10 Jahre später zum Feiertag erklärt wurde. Aufgrund der Berührungsängste mit dem Begriff „Nation“, legte man den Gedenktag (Feiertag war es damals keiner) weit weg vom Mai und man nannte ihn bis Mitte der 1960er Jahre „ Tag der Fahne“. Oktober ist weit vom Mai entfernt, so konnte man immer im Falle des Falles argumentieren: Der 26. Oktober hat mit NATION überhaupt nichts zu tun, der einzig wahre Tag, der mit dem Entstehen unseres heutigen Österreichs zu tun hat, wäre der 15. Mai, aber an dem Tag wird ja ohnehin nichts gefeiert. Der 26. Oktober war kein Feiertag, wir hatten Schule, wenngleich der Unterricht nicht sehr anstrengend war. Wir malten eben zum Tag passend den ganzen Tag Fahnen. Zehn Jahre später war die Angst vor dem Wort „Nation“ etwas gewichen. Stimmen, welche nach einem Nationalfeiertag riefen, wurden laut. Man traf eine österreichisch- salomonische Lösung: Diejenigen, die beim Wort „Nation“ die Gänsehaut bekamen, beruhigte man, indem man ihnen klar machte: Ist ja gar kein richtiger Nationalfeiertag, der wäre am 15. Mai. Die Rufer nach einem Nationalfeiertag konnte man beschwichtigen, da ja der 26. Oktober ohnehin zum Feiertag erklärt wurde. Egal was Mitte der 1960er-Jahre an diesem Tag laut offizieller Erklärung gefeiert wurde, für die Bevölkerung war klar: Wir feiern unsere Freiheit. Der Begriff „Besatzer“ wurde mit Soldaten aus der damaligen Sowjetunion gleichgesetzt, welche im Volksmund „die Russen“ genannt wurden. Da Sowjet- Besatzer der Bevölkerung das größte Leid zufügten, wurde „russisch“ als der Inbegriff des Negativen und Primitiven. Beispiel: der „Russische Luster“ oder das Schimpfwort „Du Russ‘“ usw. Wenn auch der letzte Besatzungssoldat bereits Mitte September 1955 Österreich verließ, so verfestigte sich in der Bevölkerung die Meinung: am 26. Oktober feiern wir den Abzug des letzten „Russen“. Wenn diese Einstellung auch nicht unbedingt den historischen Fakten entsprach, es empfand sich niemand veranlasst, daran etwas zu ändern. Diese politische Haltung wechselte während der 1970-er Jahre unter der sozialistischen Regierung. Man gelangte zur Überzeugung: Unsere vermeintlichen Besatzer waren ja gar keine Besatzer. Aber bitte: das waren doch unsere Befreier. Und die edelsten und tapfersten Befreier sind auch nur menschliche Kreaturen. Also das bisserl Plündern und Vergewaltigen, das darf man nicht so eng sehen. So lautete der Beschluss: das unwissende Volk muss aufgeklärt werden. Schluss mit dem Unsinn, dass wir den Abzug unserer Besatzer feiern. Viel treffender wäre es, den Abzug unserer edlen Befreier zu beweinen. Einige Jungsozialisten (z.B.Gusenbauer) waren über die eigenartige Geschichtsauffassung der Österreicher - also Verwechslung Besatzer mit Befreiern - derart erschüttert, dass sie in die damalige Sowjetunion reisten, dort die Erde küssten und sich bei unseren Befreiern und deren Nachkommen für das mangelnde Geschichtsverständnis der Österreicher entschuldigten.
Zurück zum 26. Oktober. Dieser Tag war nun in den 1970-er Jahren seit rund 10 Jahren Feiertag. An einem Feiertag feiert man und trauert nicht – auch nicht den schmerzvollen Abzug unserer Befreier, was ja politisch durchaus korrekt gewesen wäre. Was tun? Den einfacheren Naturen machte man klar, dass sie weniger nachdenken und mehr Sport betreiben sollten. Der Spruch lautete: Fit, mach mit. Doch nicht alle ließen sich mit diesem Motto abspeisen. Deswegen musste man in Geschichtsbüchern kramen und wurde fündig. Tatsächlich wurde vertraglich festgehalten, dass bis zum 25. Oktober 1955 sämtliche Besatzungstruppen (oder politisch eigentlich korrekter „Befreiungstruppen“) Österreich verlassen mussten. Wie gemein eigentlich! Es ist dokumentiert, dass wir unsere Befreier hinauswarfen!
Am 26. Oktober 1955, also der erste Tag, an dem sich laut Vertrag in Österreich keine fremden Truppen befinden durften, stand auf dem Tagesplan: Beschluss des Neutralitätsgesetzes. Freude hatte damals keiner mit dem Gesetz. Doch versprochen ist versprochen. Ohne unsere Zusage, solch ein Gesetz zu beschließen, wären wir nie zu unserem Staatsvertrag gekommen. Also schritt die damalige Regierung schweren Herzens zur Tat.
20 Jahre später – das großes Aufatmen. Welch eine Erleichterung, dass dieses Neutralitätsgesetz gerade am 26. Oktober beschlossen wurde. Da man ja im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte in den 1970er-Jahren nicht mehr den Abzug der fremden Truppen feiern durfte, konnte man dem Volk doch wieder eine Erklärung für den 26. Oktober liefern. Welch glückliche Fügung! Das Gesetz, welches am 26. Oktober teils mit Zähneknirschen, teils mit Seufzen beschlossen wurde, konnte in den 1970-er Jahren dem Volke als freudiger Anlass zum Feiern unseres Nationalfeiertages geliefert werden.
Dies ging bis zum Jahre 1995, als Österreich der EU beitrat, gut. Österreich trat weder der EWG noch der EG, sondern der EU bei. Ein nicht unwesentliches Ziel der EU ist die Ausarbeitung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Wie ist dies mit der Neutralität vereinbar? Es werden bis heute krampfhafte, nicht überzeugende Erklärungen geliefert. Einmal meinte sogar unser ehrenwerter HBP, dass Neutralität und EU nicht vereinbar wären. Doch der ehrenwerte HBP hatte auch eine Lösung parat: OK, neutral können wir nicht sein, doch wir sind bündnisfrei. Oder in anderen Worten : wir gehören keinem reinen Militärbündnis an, sondern einer Union, zu deren Aufgaben U.A. auch die gemeinsame Verteidigung zählt. Also eine Union mit gemeinsamer Verteidigung, aber da die EU auch andere Ziele verfolgt, ist sie ja kein reines Militärbündnis. Fazit: Wir sind nicht ganz, aber schon noch ein bisserl neutral.
So , da stehe ich nun ich armer Tor……..und habe keine Ahnung, was wir am 26. Oktober feiern.
1. Sind es die legendären Worte Figls, mit einer jeweiligen Phasenverschiebung von 5 Monaten?
2. Ist es vielleicht doch der Abzug des „Letzten Russen“, wie es lange Zeit der Volksmund formulierte?
3. Soll ich den Abzug unserer Befreier beweinen, wie es Gusenbauer tut?
4. Soll ich mich über ein Gesetz freuen, das seinerzeit widerwillig beschlossen wurde und das im Augenblick des Entstehens von keinem Österreicher gewollt wurde, doch im Laufe von Jahrzehnten der Bevölkerung mit viel Aufwand schmackhaft gemacht wurde?
5. Soll ich mich über unsere „geschickte Verteidigungspolitik und –diplomatie“ freuen, wonach wir bei einem militärischen Angriff ohnehin von unseren Nachbarn verteidigt werden, aber auf Grund unserer Neutralität niemand anderem helfen „dürfen“?
Ich lasse es bleiben! Ich halte mich an die 1970er-Jahre und mache einen Fitmarsch. Dabei vergesse ich die Politik und freue mich, dass wir einen Nationalfeiertag haben. Wie und weshalb dieser zustande kam, kann doch mir egal sein.